Struktureller Ansatz

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Prof. Dr. Simon Hahnzog – Systemische Beratung: Struktureller Ansatz

 

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Prof. Dr. Simon Hahnzog – Systemische Beratung:

Die strukturelle Perspektive

Der strukturelle Ansatz nach Salvador Minuchin (beeinflusst durch den französischen Strukturalismus) setzt seinen Fokus auf die Struktur innerhalb eines Systems, auf Grenzen zwischen den einzelnen Mitgliedern, Loyalitäten und Hierarchien der Mitglieder untereinander und die daraus resultierenden Bedürfnisse wie Nähe, Verlassen, Macht oder Aggression.

Im System jedes Menschen gibt es unterschiedliche Grenzen und „Hoheitsgebiete“, die ihn mit Anderen verbinden oder von ihnen trennen. Dabei sind alle Grenzen als „dynamisch“ und nicht als dauerhaft „starr“ zu verstehen. Einzelne können für kurze Zeit Grenzen überschreiten, Probleme entstehen dann, wenn eine „dauerhafte Grenzverletzung“ besteht. Durch solche Grenzverletzungen kann es zu übermäßigem Engagement, Koalitionen oder Konfliktumleitungen zwischen Systemmitgliedern kommen. Beispiele für Grenzen sind:

  • Selbstgrenzen (individuelle Ebene)
  • Subsystemgrenzen (Paar, Geschwister, Team)
  • Generationsgrenze (Eltern – Kind, Dauer der Betriebszugehörigkeit)
  • Mehrgenerationengrenze (Großeltern – Kind)
  • Geschlechtergrenze (Männerland – Frauenland)
  • Umweltgrenze (Abgrenzung der sozialen Gruppe nach außen)

 

Eine der häufigsten Grenzverletzungen ist die Triangulierung, die immer wieder und in ähnlicher Form zwischen den Mitgliedern eines Systems entstehen kann:

Wenn ein Konflikt auf einer Paarebene besteht, dann kann es zu einer Triangulierung kommen. Hierbei wird ein Dritter in die Paarebene hinzu geholt, um den Konflikt zu lösen (bei Eltern oft das Kind). Jeder Partner der Paarebene versucht nun den Dritten auf seine Seite zu ziehen. Durch den Dritten soll das Gleichgesicht auf der Paarebene wieder hergestellt werden. Dadurch entsteht für den Dritten zwangsläufig ein Loyalitätskonflikt, den er in dieser Konstellation nicht lösen kann.

 

Im Rahmen der Organisationsbertaung hat sich in diesem Zusammenhang die Arbeit mit Organigrammen (siehe auch Artikel/Skript: „Arbeit mit Organigrammen“) zur Verdeutlichung der Strukturen und Grenzen eines Systems entwickelt. Ein Organigramm (oder auch: Strukturplan, Organisationsplan, -schaubild, -skulptur) stellt den organisatorischen Aufbau in seinen Einheiten, Hierarchieebenen, Positionen, Aufgaben- und Auftragsverteilungen grafisch dar. Es ist quasi eine „Landkarte“ des Unternehmens.

 

Organigramme können die vertikale Struktur, also die verschiedenen Führungsebenen, oder die horizontale Struktur, also die einzelnen Fachbereiche und –abteilungen, darstellen. Meistens wird eine Mischform gewählt, in der beide Strukturen gemeinsam dargestellt werden. Die grafische Darstellung erfolgt durch Symbole für jeweilige Funktionen (siehe unten).

Folgende Informationen sind enthalten:

  • Hierarchische und/oder fachliche Struktur der Organisation
  • Personelle Besetzung (Position, Abteilung, Funktion)
  • Struktur der jeweiligen Weisungsbeziehungen
  • Verteilung der inhaltlichen Aufgaben auf einzelne Stellen und Abteilungen
  • Positionierung von Assistenz- und Zuarbeitsstellen

 

Mit dieser Darstellung sollen Beziehungen und (implizite) Spielregeln der Organisation für alle greifbar gemacht werden. Diese Offenlegung von sichtbaren und unbewussten Strukturen kann eine starke Innenwirkung entfalten, da insbesondere Themen und Kontakte, die zuvor unter der Oberfläche lagen, bewusst gemacht werden.

Daher ist es wichtig, dass zuvor Klarheit über die Ausführlichkeit und Detailliertheit hergestellt wird:

  • Sollen die Mitarbeiter einzeln oder in Gruppen abgebildet werden?
  • Sollen auch Kommunikations- und Informationswege deutlich gemacht werden?
  • Welche Stelle erhalten die Kunden im Organigramm?
  • Sollen auch Ziele, Aufträge, Konflikte oder Nicht-Erfülltes eingetragen werden?

 

Es gibt keine einheitlich festgelegte Regelung für die grafische Darstellung von Organigrammen. In der praktischen Anwendung haben sich beispielsweise folgende Darstellungen bewährt:

Der Kreativität sind bei der Erstellung eines Organigramms keine Grenzen gesetzt. Je nach Zielsetzung, können die unterschiedlichsten Strukturen, Beziehung und Inhalte mit in die Darstellung aufgenommen werden.

Organigramme ermöglichen viele neue Perspektiven auf die Struktur und Aufgaben­verteilung in einem Unternehmen, bergen zugleich allerdings auch Risiken und Probleme:

Vorteile:

  • Die hierarchische und horizontale Struktur der Organisation werden sichtbar.
  • Dadurch können Zuständigkeiten, Verantwortungsbereiche und Aufgabenzuteilungen deutlicher zugewiesen werden, sowie Informationen effizienter ausgetauscht werden.
  • Entscheidungen insbesondere in kritischen oder konfliktreichen Situationen können durch aktuelle Organigramme unterstützt werden.
  • Neu- oder Umstrukturierungen können durch die Verbildlichung leichter vorausgedacht werden.
  • Softwareprogramme zur schnelleren Umsetzung haben inzwischen auch den hohen zeitlichen Aufwand für die Erstellung teilweise verringert.

Nachteile:

  • Organigramme sind auch bei äußerst detaillierter Ausführung stets stark vereinfachend, da nie alle Beteiligten und Prozesse in ihrer gesamten Struktur dargestellt werden können.
  • Dementsprechend haben die diversen Darstellungstechniken ihre Grenzen. Je nachdem, welche gewählt wird, werden entweder Übersichtlichkeit oder Ausführlichkeit nicht ausführlich genug umgesetzt.
  • Die Vorarbeiten sind zeit-, kosten- und personalintensiv.
  • Es gibt (noch) keine einheitlichen Normen, so dass organisations- oder länderübergreifende Vergleiche relativ schwierig sind.

 

In der Methodik des strukturellen Ansatzes hat sich folgender Schwerpunktverlauf gebildet:

1. Joining

Die Beraterin „nimmt Teil“ an der Kultur des Systems, um dieses zu erforschen. Sie macht sich sein Bild, wie sich das System nach außen hin präsentiert und wie die Sprache des Klienten und des Systems funktionieren. Es gilt an dieser Stelle auch den Veränderungsauftrag des Systems herauszufinden.

 

2. Enactment

Das „Hier und Jetzt“ spielt im strukturellen Arbeiten eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ansätzen „findet die Beratung im Therapieraum statt“. Das System wird aufgefordert konkrete Handlungsweisen darzustellen, beispielsweise eine Alltagssituation (beim Meeting, Mittagessen etc.). Durch diese Bewusstmachung der Wahrnehmung werden dem Berater und vor allem den Klienten Beziehungsstrukturen sichtbar.

 

3. Unbalancing („Dampfkessel“)

Die Beraterin ist nun aufgefordert den „Hofnarr“ zu spielen – also die eigene Wahrnehmung möglichst ohne Verschönerung wiederzugeben. Sie bezieht sich dabei vor allem auf Konflikte, die Sie wahrgenommen hat und kann diese noch weiter „anheizen“, indem sie ihre Einfälle für Hypothesen und Lösungen kundtut. Dadurch werden ein gewisses Chaos und eine starke Spannung erzeugt, durch die die Beteiligten die Möglichkeit zur Musterunterbrechung haben.

Mut zum Experimentieren!

 

4. Confronting

Nach dem Motto „stroke and kick“ („streicheln und schlagen“) werden vom Berater nun die Konflikte angesprochen. Dabei kann er Partei ergreifen, die Seiten wechseln und provozieren:

Der Konflikt wird als Chance gesehen und die „Heilung“ liegt im System.

 

5. Heilung

Abschließend müssen die Ressourcen des Systems fokussiert werden. Jedes Systemmitglied bringt bestimmte Kompetenzen mit, die von den anderen als solche erkannt und anerkannt werden müssen.

Anschließend werden neue Formen der Grenzregulierung gesucht und besprochen. Die Beraterin unterstützt dabei das System, indem sie hilft, Wege für die eigene Lösung zu finden.

 

 
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