Vier Seiten der Kommunikation

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Prof. Dr. Simon Hahnzog – Methoden der Gesprächsführung: Vier Seiten der Kommunikation

 

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Prof. Dr. Simon Hahnzog – Methoden der Gesprächsführung:

Die vier Seiten einer Nachricht

Friedemann Schulz von Thun erweitere Watzlawicks zweites Axiom um zwei Aspekte:

 

Jede Kommunikation umfasst demnach immer diese „vier Seiten einer Botschaft“. Jede Seite ist den anderen gegenüber gleichwertig. Verwirrung und Differenzen zwischen den Gesprächspartnern sind leicht möglich, wenn jeder nur auf einzelne Aspekte, bzw. beim Empfang auf eine andere Seite als vom Sender beabsichtigt, eingeht.

Wichtig:
Diese „vier Seiten einer Botschaft“ sind nicht nur Bestandteil der Kodierung auf Seiten des Senders, sondern existieren auch genauso auf der Seite des Empfängers beim Dekodieren einer Botschaft. Bildlich ausgedrückt spricht der Sender immer mit „vier Mündern“ und der Empfänger hört immer mit „vier Ohren“:

 

 

1. Selbstoffenbarung/Selbstkundgabe

„Was sage ich mit meiner Äußerung über mich aus?! Bzw. Was sagt mir Deine Äußerung über Dich aus?“
 Selbstoffenbarung kann hierbei sowohl eine gewollte Selbstdarstellung als auch eine ungewollte Selbstenthüllung sein. Die Sorge darüber, wie der Sender in den Augen der anderen dasteht kostet den Sender häufig viel Energie (Selbstoffenbarungsangst).

Um diese Angst und um das (vermeintlich) Unerwünschte zu verdecken, werden verschiedene Techniken entwickelt:

  • Imponiertechniken:
    Sich aufspielen, sich produzieren, angeben, sich selbst beweihräuchern, „Rad schlagen wie ein Pfau“, Eindruck schinden, schwer verständliche Sprache verwenden, Wichtiges als Beiläufiges abtun usw.
  • Fassadentechniken:
    Schweigen, eine Rolle spielen oder Dinge sagen, die man nicht fühlt, sich ja nichts anmerken lassen, gute Miene zum bösen Spiel machen.
  • Techniken zur Selbstverkleinerung:
    Sich selbst klein, schwächlich, hilflos oder wertlos darstellen mit dem Ziel, dass einem widersprochen wird oder bestimmte Aufgaben abgenommen werden.

 

Auswirkungen einer übermäßigen Selbstkundgabeangst:

 Ausdrucksebenen Merkmale von Selbstkundgabeangst
 Emotional  Reduzierte Emotionalität und Lebendigkeit („normgerecht“/grau)
 Körperlich  Muskelverspannungen, flacher Atem, psychosomatisch bedingte Krankheiten
 Sprachlich  Die Person wirkt sachlich, unpersönlich, abgehoben, abstrakt, mit eher eingeschränkter Mimik und Gestik, steril. Sie verwendet Wörter wie „man“, „wir“ oder „es“ statt „ich“ und Fragen zur Sicherung der „Oberhand“. Eher „Du-“ als „Ich-Botschaften“
 Zwischenmenschlich  Isoliertheit
 Sachliche Ebene  Unteroptimaler Ertrag

 

Entwicklungsziel:
Überbesorgtheit um die eigene Wirkung abbauen und vielmehr so geben, wie einem zu Mute ist. Hierzu muss man sich zunächst allerdings sowohl selbst spüren als auch soziale Situationen einschätzen können.

Wichtige Konstrukjte: Kongruenz, Selektive Authentizität, Stimmigkeit

  • Kongruenz (nach C.R. Rogers):
    Übereinstimmung von innerem Erleben, Bewusstsein des inneren Erlebens und der tatsächlichen Mitteilung (auch Authentizität).
  • Selektive Authentizität (nach R. Cohn):
    „Nicht alles was echt ist, will ich sagen, doch was ich sage soll echt sein.“ Kommunikation wird durch eine respektvolle Haltung dem anderen gegenüber begrenzt.
  • Stimmigkeit (nach F. Schulz von Thun):
    Grenzen der Authentizität sind ein allgemeingültiger Wertemaßstab, der sich neben der Übereinstimmung von „innerem zu Mute sein“ (Innerung) und „äußerem Gebaren“ (Äußerung) auch nach der Übereinstimmung mit den Anliegen der eigenen Existenz richtet.


2. Sachinhalt

Auch wenn es bei der Übermittlung von Botschaften nicht nur um die Sache, sondern auch immer um Gefühle, Erwartungen und Erfahrungen geht, so ist doch eine Förderung von Verständlichkeit ein elementarer Bestandteil von erfolgreicher Kommunikation.

Verständlichkeit gliedert sich in vier Aspekte:

  • Einfachheit
  • Gliederung und Ordnung
  • Kürze und Prägnanz
  • Zusätzliche Stimulanz

Für die Erhöhung der Verständlichkeit einer Botschaft ist dabei ein hoher Wert an Einfachheit und Gliederung sowie mittlere/leicht positive Werte an Kürze/Prägnanz und zusätzlicher Stimulanz förderlich.

Hierzu muss allerdings zunächst auf den anderen Ebenen Klarheit herrschen, sonst hat die Sachlichkeit der Nachricht keine Chance auch das „richtige Ohr“ zu treffen. Also dient (auf den ersten Blick paradoxerweise) Ruth Cohns Postulat „Störungen haben Vorrang“ zunächst, um die Basis einer sachlichen Information zu ermöglichen. Diese Strategie ist auf lange Sicht auch immer erfolgreicher als das so häufig genutzte „Das gehört nicht hierher!“ mit dem nur auf den ersten Blick und vorläufig eine Verbesserung der Sachebene erreicht wird.

Für die Kommunikationspartner ist es daher von Vorteil, sich die „drei Komponenten des Geschehens“ (Ruth Cohn) bewusst zu machen:

 

Hierbei bezeichnen die drei Komponenten:

  • Es: Die Sache, das Thema, die gemeinsame Aufgabe
  • Ich: Der einzelne in der Gruppe, mit seinen Gefühlen, persönlichen Möglichkeiten und Störungen
  • Wir: Die Gruppe mit ihrem Beziehungsnetz und ihren Interaktionen
  • Später ergänzt: Umfeld (Globe):
    Umgebung jenseits der unmittelbaren Gruppenrealität,   Rahmenbedingungen, Setting etc.

 

3. Beziehung

In einer Kommunikation sind auch immer folgende Fragen bzw. Aussagen auf der Meta-Ebene Bestandteil der Botschaften:

  • „Wie redet der/die eigentlich mit mir?“ (Respekt)
  • „Wie stehen wir eigentlich zueinander?“ (Wir-Botschaft)
  • „So einer bist Du also.“ (Du-Botschaft)

Die Sachebene einer Botschaft richtet sich vor allem an „den Kopf“ des Empfängers – dahingegen richtet sich die Beziehungsebene „ans Herz“ des Gegenübers.

Der Beziehungsaspekt einer Botschaft kann in zwei Dimensionen strukturiert werden, die folgendes „Verhaltenskreuz“ für die Beziehungsseite einer Botschaft ergeben:

 

Für die Reaktionsmöglichkeit auf den Beziehungsteil einer Botschaft bestehen vier Ausprägungen:

  • Akzeptieren
  • Durchgehen lassen
  • Zurückweisen
  • Ignorieren

Dadurch entstehen in Anlehnung an Watzlawick 5. Axiom und Jay Haley drei Grundarten von Beziehung:

  • Symmetrische Beziehungen: Beide Partner können das gleiche Verhalten zeigen.
  • Komplementäre Beziehungen: Beide Partner zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen, diese ergänzen sich aber (z.B. einer fragt – einer antwortet; einer lehrt – einer lernt)
  • Metakomplementäre Beziehungen: Wenn A seinen Kommunikationspartner B dazu bringt/ihn dazu auffordert, ihn zu lenken, zu führen oder gleichwertig zu sein.


4. Appell

Bestandteil jeder Nachricht ist auch die Intention des Senders, beim Empfänger eine Wirkung zu erzielen. Diese Appelle an den Kommunikationspartner finden allerdings mehr oder weniger offen statt:

  • Offener Appell:

Ist für eine erfolgreiche Kommunikation besonders gut geeignet, setzt allerdings folgende Gegebenheiten voraus

  • Der Sender muss sich über seine Bedürfnisse im Klaren sein.
  • Die Äußerung von Wünschen ist nicht mit der Erwartung verbunden, dass diese auch umgesetzt werden.
  • Der Empfänger der Botschaft übernimmt die volle Verantwortung, sich entsprechend dem Appell zu verhalten oder nicht (→ vgl. Feedback).
  • Offener Appell ist nicht gleichzusetzen mit Egoismus!

Allerdings gibt es auch zahlreiche Gründe, die gegen offene Appelle sprechen:

  • Selbstoffenbarungsangst
  • Angst vor Zurückweisung
  • Befürchtung, dass der Empfänger nicht den Mut zum „Nein“ hat
  • Die Irrationale Vorstellung, das Gegenüber könne die eigenen Wünsche „an den Augen ablesen“ (vgl. R. Cohn)

 

  • Verdeckter (heimlicher) Appell:

Dazu zählen unter anderem taktische Schleichwege, Manipulationen oder unausgedrückte Wünsche, die sich im Nachhinein nicht selten als Vorwürfe oder Klagen äußern. Mögliche Beispiele für verdeckte Appelle:

  • Angstzustände die auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet sind
  • Empfindlichkeiten, die eigene Unzulänglichkeiten ausdrücken
  • „kindliche Unarten“
  • „Hilflosigkeiten, Unfähigkeiten und Schwächen“
  • „Fishing for compliments“

 

  • Paradoxer Appell:

Einige Appelle sind für den Empfänger äußerst schwer zu entschlüsseln. Wenn diese das Gegenteil dessen ausdrücken, was eigentlich das erstrebte Ziel ist:

  • „Anbefehlen des Gegenteils“ (z.B. „Sei spontan“-Paradoxon)
  • Lösungen zweiter Ordnung (z.B. Prohibition, Verbote an Jugendliche)
  • Symptomverschreibungen

 

Immer bleibt zu beachten:

„Mit jedem Appell betrittst Du ein Königreich –

nämlich das Reich der Freiheit und Selbstinitiative des anderen.“ (Schulz von Thun 1981)

Literatur

 

Cohn, R. (2009). Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Stuttgart: Klett-Cotta.

Schulz von Thun, F. (2004). Miteinander Reden – Störungen und Klärungen. Hamburg: Rohwolt.

 

 

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