Sozialpsychologie: Soziale Kognition

1. Soziale Kognition – Grundlagen

Definition:

„Soziale Kognition untersucht die Schritte im Strom der Gedanken, die sich Menschen über andere Menschen machen.“ (Fiske 2004)

→ Anhand Untersuchungen zur sozialen Kognition wird Verhalten in sozialen Situationen als Folge von Informationsverarbeitungs-
prozessen betrachtet:

  •  Wie wird eine „objektive Situation“ in eine „subjektive Realität“ transformiert?
  •  Wie können wir andere Menschen einschätzen?
  •  Warum können sich solche Beurteilungen ändern oder als „falsch“ herausstellen?
  •  Welche Prozesse bedingen diese Einschätzungen? usw.

Wichtige Konstrukte:

Kategorie:
Das Ergebnis der Kategorisierung von Objekten (Objektkategorie) oder Menschen/-gruppen (soziale Kategorie).

Dafür werden Prototypen gebildet:
Mentale Modelle der typischen Eigenschaften von Elementen einer Gruppe. Prototypen beschreiben ‚das typische Mitglied‘ einer Kategorie, ein Mitglied, das diese Kategorie am besten repräsentiert.
häufig synonym: Schema: Unsere Erwartungen über Objekte oder soziale Gruppen.

Kategorisierung:
Die Tendenz, der wir unterliegen, Objekte (einschließlich Menschen) aufgrund gemeinsamer charakteristischer Merkmale in diskrete Gruppen einzuteilen.

Soziale Kategorie:
Eine soziale Kategorie „ist die Gruppierung zweier oder mehrerer unterscheidbarer sozialer Objekte, die als gleich behandelt werden.“ (Leyens & Dardenne, 1996, 113).

Stereotyp:
Soziale Prototypen werden als Stereotype bezeichnet:
Generalisierung über eine Gruppe von Menschen, bei der man praktisch allen Mitgliedern der Gruppe identische Eigenschaften zuschreibt, ohne Beachtung gegebener Variation unter den Mitgliedern.

→ Bestehende Kategorien/Schemata beeinflussen die Information, die wahrgenommen wird, indem der Mensch bereits vorhandene
Informationen in seinem kognitiven System aktiviert.

Soziale Kategorien:

Primitive und umfassende Kategorien werden immer automatisch aktiviert (Geschlecht, Alter, Ethnizität).

Eine Unterscheidung in Ingroup- und Outgroup-Kategorien ermöglicht  soziale Orientierung.

Kategorisierung ist auch in hohem Maße kontextabhängig: Das Maß der  Salienz eines Reizes bestimmt die Ausprägung der Kategorisierung.

Kategorisierungsprozesse sind ebenfalls  von Motivations- und Aufmerksamkeitsfaktoren abhängig.

Funktionen sozialer Kategorien:

  • Strukturierung neuer Informationen
  • Reduktion von Komplexität
  • Gewinnung von Bedeutung:  Beziehungen zwischen Merkmalen
  • Erleichterung der Erinnerung und Rekonstruktion vergangener  Ereignisse sowie Erwartungen über zukünftige Ereignisse

Begrenzung der Verarbeitungskapazität:

Um den Grenzen der Kapazität der Informationsverarbeitung zu begegnen nutzen Menschen verschiedene Strategien, um diese zu kompensieren:

  • Es wird nur eine stark begrenzte Menge des Wahrnehmungsinputs verarbeitet: selektive Aufmerksamkeit und selektive Erinnerung.
  • Es werden Prozesse genutzt, die eine Vereinfachung erlauben:  Top-Down-Verarbeitung, Urteilsheuristiken, Stereotypisierungen.
  • Prozesse werden entsprechend der Zielorientierung des Verhaltens gesteuert: bottom-up-Verarbeitung.
  • Es werden eher die Informationen genutzt, die leicht verfügbar sind: Accessibility (Zugänglichkeit) = Leichtigkeit, mit der Informationen abgerufen werden können.

Rolle von Vorwissen:

Häufig ist das soziale Verhalten und Erleben stärker von Vorwissen und damit verbundenen Vorannahmen geprägt, als durch aktuellen Wahrnehmungsinput.

Die soziale Wahrnehmung geht daher häufig über „objektive“ Informationen hinaus:
„Going beyond the information given.“
(Bruner, 1957)

Spezifisches Vorwissen wird abhängig von der Zugänglichkeit und der Passung genutzt:
Die Zugänglichkeit von Informationen ist dabei unter anderem  abhängig von der Häufigkeit (frequency) und der Kürzlichkeit (recency) der Nutzung.

Warnehmungsakzentuierung:

Werden Objekte in einer kontinuierlichen Serie wahrgenommen, so kann die Wahrnehmung der Objekte zu einer verzerrten Kategorisierung der Reize führen:

  • Unterschiede zwischen den Kategorien werden akzentuiert (die Zwischenvarianz wird größer)
  • Unterschiede innerhalb der Kategorien werden minimiert (die Binnenvarianz wird kleiner)

→ Dieser Effekt tritt auch bei Objekten ohne bedeutenden Informationswert auf und wird auf die soziale Kategorisierung im
Bereich der Gruppenwahrnehmung und der Stereotypisierung übertragen. Hierzu: Experiment von Tajfel & Wilkens (1963):

Verlauf:

Vpn wurde eine Serie von Linien dargeboten, die kontinuierlich an Länge zunahmen, deren Bezeichnung jedoch eine vermeintliche Kategorisierung darstellte. AV: Schätzen der Linienlängen.

Automatische und kontrollierte Prozesse:

Informationsverarbeitungsprozesse können kontrolliert verlaufen:
Bei konkreten Fragestellungen und deren Beantwortung, beispielsweise bei Kundenbefragungen, Klausuren, Testverfahren etc.

Informationsverarbeitungsprozesse können automatisch verlaufen:
Stereotype, Assoziationen, Automatismen etc.  Diese werden beispielsweise in prozessorientierten Assessments untersucht.

→ Funktionalität automatischer Prozesse:
schnelle Reaktion, geringer Verbrauch kognitiver Ressourcen, z.B. erleichtern Stereotype die Personwahrnehmung bzw. situations- oder personspezifische Reaktionen.

Häufig Mischform zwischen beiden Prozessen. Außerdem:
Bei wiederholter Ausführung von kontrollierten Verarbeitungsprozessen kommt es zu einer Prozeduralisierung und dadurch einer möglichen Automatisierung dieser Prozesse (Training).

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