Sozialpsychologie: Soziale Kognition

2. Der Einzelne im sozialen Kontext: Persönlichkeit und Identität

Leitfrage: „Wer bin ich?“

  • Ich und Selbst – „I and me“
    Sich selbst zu untersuchen und zu hinterfragen – diese reflexive Fähigkeit des Menschen ermöglicht es ihm, zugleich Objekt seiner Untersuchungen (Kant (1781): empirisches Ich, William James (1890): Me) und Forscher (Kant: reines Ich, James: I) zu sein. Das Selbst erkennen wir erst in einem Alter von ca. 2 Jahren.
  • Persönlichkeit (häufig synonym: Identität, Charakter, Selbst):
    „Summe der Eigenschaften, die dem einzelnen sine charakteristische, unverwechselbare Individualität verleiht.“ (Peters 2000, 402).
    Das Konstrukt beinhaltet also drei sich überschneidende Bereiche:
  •  „allgemein-menschliche Universalien
  •  individuelle Unterschiede und
  •  individuelle Einmaligkeit“ (Pervin et al. 2005, 30)

Funktionen des Selbst/der Persönlichkeit:

  • Strukturierende Funktion:
    Ein wichtiges Schema, das uns hilft Informationen über unsere eigene Person und auch über die soziale Welt zu erinnern und zu interpretieren.
  • Exekutive Funktion:
    Durch einen beständigen Abgleich unseres Selbst mit dem aktuellen Zustand, unseren Idealvorstellungen und den sozialen Erwartungen erfüllt das Selbst eine ausführende bzw. Regulierungsfunktion.
    Das Selbst trifft Entscheidungen, schmiedet Pläne, reguliert Verhalten
  • Emotionale Funktion:
    Ist das Selbst ausgeglichen, sind wir entspannt und ruhig, wenn nicht dient    das Selbst zur Steuerung unserer emotionalen Reaktionen.
    Diese Funktionen benötigen Energie. Ist diese erschöpft („ego- depletion“) werden die Funktionen vorübergehend verringert.

Grundlegende Konstrukte:

  • Selbstkonzept:
    Das Wissen über das, wer wir sind – der Inhalt der Persönlichkeit:
    Es setzt sich aus den Elementen zusammen, mit denen sich ein Mensch selbst beschreibt. Dadurch werden Voraussagen über das Verhalten und eine persönliche Orientierung ermöglicht.
  • Selbstaufmerksamkeit:
    Der Vorgang des „Über-sich-Nachdenkens“ und „Sich-Bewusstwerdens“.
  • Selbstwirksamkeit:
    Die Einschätzung, wie gut man eine Aufgabe glaubt bewältigen zu können.
  • Selbstwert:
    Die Wertschätzung, die wir gegenüber unserem Selbst empfinden.
  • Selbstwirksamkeit („self-efficacy“):
    Die Regulationsfähigkeit der Persönlichkeit hängt stark von der Überzeugung ab, die Umwelt kontrollieren und wichtige Ziele erreichen zu können. Vgl. Untersuchungen zum „locus of control“ ( 4.):
    Menschen, die sich als internal kontrolliert erleben, sind in Schule und Beruf erfolgreicher als solche mit eher externaler Kontrollüberzeugung.
  •  Collective-Efficacy:
    Bezeichnet den Umstand, dass eine Gruppe glaubt, stärkeren Einfluss auf ein Ereignis zu haben als einzelne („Gemeinsam sind wir stark“: Demonstrationen; Streiks; Rebellionen etc.).
  • Selbstkategorisierung:
    Die kognitive Konstruktion von Kategorien und Gruppen die auf der einen Seite die eigene Person und zugehörige Gruppenmitglieder und auf der anderen Seite „andere“ Gruppen und Personen umfasst, z.B.:

Entwicklung und Struktur der Persönlichkeit:

  • Soziale Identität:
    „Jener Teil des Selbstkonzepts einer Person, der sich aus dem Wissen über die Mitgliedschaft in einer sozialen Gruppe ableitet, einschließlich des Werts und der emotionalen Bedeutung, die mit dieser Mitgliedschaft verbunden sind. Soziale Identität umfasst die Selbstdefinition als austauschbares Gruppenmitglied im Sinne der Unterscheidung zwischen Eigengruppe und Fremdgruppe (‚wir‘ im Unterschied zu ‚sie, die anderen‘).“  (Turner in: Jonas et.al 2007)
  • Persönliche Identität:
    „Selbstdefinition als einzigartiges Individuum im Sinne von interpersonellen oder intergruppalen Unterschieden (‚ich‘ oder ‚mich‘ versus ‚du‘ oder ‚dich‘ bzw. ‚ihr‘ oder ‚euch‘).“ (ebd.)

Es gibt unterschiedliche Motive für die Veränderung oder Weiterentwicklung des Selbstkonzepts, u.a.:

  • Selbstbewertung/-beurteilung („self-assessment“, „self-evaluation“):
    Bedürfnis nach aktuellem und zutreffendem Wissen über sich selbst.
  • Selbst-Bestätigung („self-verification“):
    Bedürfnis nach Bestätigung seiner Überzeugungen bzw. seines subjektiven Selbstbildes
  • Selbsterhöhung („self-enhancement“):
    Bedürfnis nach positivem Feedback für seine Überzeugungen bzw. sein subjektives Selbstbild.

→ Die Gewichtung der einzelnen Motive sind von Person zu Person, von Kultur zu Kultur und je nach sozialer Situation unterschiedlich.

Selbstwert:

Der Selbstwert/das Selbstwertgefühl („self-esteem“) ist skalierender Ausdruck der Selbstbewertung, diese umfasst:

Bewertung des eigenen Verhaltens, des körperlichen Erscheinungsbildes, der eigenen Fähigkeiten und anderer persönlicher Merkmale anhand internalisierter Standards oder sozialer Normen (Jonas et.al. 2007).

Untersuchungen von Smith & Petty (1995):

  • Werden Menschen mit niedrigem Selbstwert in eine negative Stimmung versetzt, so können sie vermehrt negative Ereignisse aus ihrem Leben erinnern.
  • Menschen mit niedrigem Selbstwert interpretieren mehrdeutige Bilder in negativer Stimmung negativer als Menschen mit hohem Selbstwert.
  • Menschen mit hohem Selbstwert versuchen hingegen sich selbst wieder in positive Stimmung zu versetzen, indem sie sich an positive Ereignisse erinnern.

Methoden zur Selbstwerterhaltung und –erhöhung:

  • 4 Strategien nach Tesser (1988):

  • Selbstwertdienliche Verzerrung („self-serving-bias“):
    Erfolge werden auf internale Faktoren (Anstrengung, Wissen, Fertigkeiten)    und Misserfolge auf externale Faktoren (Zufall, Pech etc.) zurückgeführt.
  • Selbstbehinderung („self-handicapping“):
    Bereits vor dem möglichen Eintreten einer Niederlage werden Bedingungen    geschaffen, die im Nachhinein eine Begründung durch externale oder         temporäre Faktoren ermöglichen – man sabotiert sich selbst.  Stellt sich     dann doch ein Erfolg ein, ermöglicht dies zudem eine Selbstwertsteigerung.
  • Soziale Erwünschtheit und „Fishing for compliments“:
    Wenn eine negativere Selbsteinschätzung vorgegeben wird, als eigentlich existent: „Ich war ja so schlecht in der Klausur.“ – „Die neue Frisur steht mir ja überhaupt nicht.“ etc.. Durch dieses sozial erwünschte Verhalten stellt man sich bescheiden dar, obwohl man insgeheim Erfolge auf die eigenen Fähigkeiten und Bemühungen zurückführt (auch: falsche Bescheidenheit).
  • Selbstbestätigung:
    Erleben Menschen die Bedrohung eines wichtigen Anteils ihrer Persön- lichkeit, so werden andere, positiv konnotierte Anteile / Verhaltensweisen in den Vordergrund gestellt und betont. Dadurch wird ein positives Gesamtbild    der Persönlichkeit wieder hergestellt, z.B.: „Ich kann vielleicht schlecht Fußballspielen, dafür aber hervorragend Skifahren.“
  • Abwärtsgerichtete soziale Vergleiche:
    Wird der Selbstwert bedroht, werden Vergleiche mit anderen gezogen, die     in Bezug auf den bedrohten Persönlichkeitsaspekt unterlegen sind, z.B.: „Ich habe zwar nur eine 4.0, es gibt aber viele mit einer 5,0.“
  •  Selbstdarstellung:
    Das Bestreben, in sozialen Situationen dem Gegenüber ein möglichst   positives Bild unserer Persönlichkeit zu vermitteln. Maßstab sind dabei vorhandene und vermutete soziale Werte wie auch das eigene Idealbild.

    Sozialpsychologie: Soziale Kognition
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