Sozialpsychologie: Soziale Kognition

 

 

8. Urteilsbildung

Zur Urteilsbildung (= Vorgang, der zur Feststellung eines Ergebnisses führt) werden auch im sozialen Kontext Heuristiken zu Hilfe genommen.

Definition Heuristik:
Eine Heuristik ist „eine kognitive Faustregel, die Menschen verwenden, um zu einem Urteil zu gelangen. Heuristiken liefern zwar häufig zutreffende Ergebnisse, wegen ihres vereinfachenden Charakters aber nicht immer. Soziale Stereotype können als Beispiele für Heuristiken angesehen werden.“ (Jonas et al. 2007, 114)

→ Anhand der Regeln und Prinzipien, die durch Heuristiken repräsentiert werden, sind wir in der Lage schnelle soziale Urteile zu fällen, die jedoch nicht immer korrekt sein müssen. Heuristiken werden vor allem dann deutlich, wenn sie versagen, also wenn Urteilsverzerrungen und -fehler auftreten.

Zu den häufigsten Heuristiken zählen u.a.:

  • Repräsentativitätsheuristiken
  • Ankerheuristiken
  • Verfügbarkeitsheuristiken
  • Gefühlsheuristiken

Zudem wird die Urteilsbildung von Framing-Effekten und der Logik der Konversation beeinflusst.

Repräsentativitätsheuristik

  • Def. Repräsentativität:
    Repräsentativität ist der geschätzte Grad an Übereinstimmung zwischen einer Stichprobe und der dazugehörigen Grundgesamtheit.
  • Repräsentativität und Urteilsbildung:
    Im sozialen Urteil lassen wir uns häufig von Repräsentativitätsheuristiken leiten und vernachlässigen zusätzliche Informationen (vgl. zentrale und periphere Merkmale). Dabei werden die Regeln der Wahrscheinlichkeit verletzt, wenn konjunkte Eigenschaften für wahrscheinlicher gehalten werden als einzelne Eigenschaften.

Ankerheuristik

  • Def. Anker:
    Vorhandene Elemente einer kognitiven Operation beeinflussen deren   Ergebnis, indem neue Informationen untergewichtet werden. Diese vorhandenen Elemente bilden Verankerungspunkte der Urteilsbildung,   an denen die Operation festgemacht wird.
  • Beispiel: Anker und juristische Urteile (Englich & Mussweiler, 2001):
    •  Verlauf:
      16 Richtern mit langer Berufserfahrung, wird ein Vergewaltigungsdelikt geschildert. Zudem wurde Ihnen mitgeteilt, dass ein Informatikstudent ein Strafmaß von 12 Monaten (Gruppe 1) bzw. von 32 Monaten (Gruppe 2) vorschlagen würde. Die Richter sollten vorgeblich die Angemessenheit des Vorschlags beurteilen.
      AV: Richter setzen selbst ein Strafmaß fest.
    •  Ergebnis:  Niedriger Anker: 28 Monate, hoher Anker: 35 Monate.
  • Beispiel: Anker und Verhandlungen (Mussweiler & Galinsky 2002):
    • Grundlage:
      Verhandlungssituationen sind typischerweise von großer Informationsunsicherheit geprägt.
      Ankerheuristik  →   beliebiger Wert beeinflusst Ergebnis der Verhandlungen. Effekt ist robust gegen Expertise und Plausibilität!
    • Untersuchungsdesign:
      38 Dyaden (MBS-Studenten an einer amerikanischen Business-School) verhandeln Verkauf eines Pharmakonzerns. Dabei übernehmen sie entweder die Rolle des Käufers oder die des Verkäufers.
      Informationen für beide:
      Kaufpreis 15 Mio $ vor 3 J.; Schätzwert vor 2 Jahren 19 Mio $;
      ähnliches Objekt ist gerade für 26 Mio $ verkauft worden
    • 2×2 Design (→ 4 mögliche Paarungen):

    • „Best alternative to a negotiated agreement“ (BATNA), hier:
      Für Käufer: Neubau kostet 25 Mio, dauert 1 Jahr
      Für Verkäufer: Abwicklung bringt 17 Mio.
    • Ergebnis:
      Erstes Angebot durch Käufer
      : Ø-Ergebnis: ca. 20 Mio. $
      Niedriges Angebot durch Käufer (Ø: 16,5 Mio.$): Verkäufer assoziiert zunächst die Argumente, die einen niedrigen Preis rechtfertigen. Auf diesem Wissen basiert anschließend die Verhandlung.
      Erstes Gegenangebot durch Verkäufer:    Ø  22,9 Mio.$ (ohne BATNA), Ø  24,8 Mio.$ (mit BATNA)Erstes Angebot durch Verkäufer: Ø-Ergebnis: ca. 25 Mio. $
      Hohes Angebot durch Verkäufer (Ø 26,6 Mio.$): Käufer assoziiert zunächst die Aspekte, die für einen hohen Preis sprechen.
      Erstes Gegenangebot durch Käufer: Ø  21,3 Mio.$ (ohne BATNA), 18,2 Mio.$ (mit BATNA)

Verfügbarkeitsheuristik

Definition:
Sollen Urteile gefällt werden, orientieren sich Menschen häufig an den schnell verfügbaren Informationen. Dabei wird jedoch nicht immer berücksichtigt, ob diese Informationen auch auf einer repräsentativen Auswahl bestehen.

Die Verfügbarkeit ist u.a. von folgenden Effekten abhängig:

  •  Recency-Effekt: Informationen, die erst vor kurzem aktiviert wurden
  •  Frequenz-Effekt: Informationen, die häufig aktiviert werden
  •  Kontext-Effekt: Information wurde in ähnlichem Kontext aktiviert
  •  Priming-Effekte: Primes rufen korrelierende Informationen hervor
  •  Peak-End-Rule: Längere Ereignisse werden im Nachhinein vor allem nach besonderen Einzelereignissen und Ereignissen am Ende beurteilt
  •  Moodcongruent-Recall: In schlechter Stimmung können eher negat. Erinnerungen abgerufen werden, u. umgek.

Beispiel: „Famous Name“-Experiment (Tversky & Kahnemann 1973)

  • Verlauf:
    Liste mit Namen von Männern und Frauen wird dargeboten. Gleich viele Männer und Frauen. Dabei werden die männlichen Namen mit Namen von Prominenten gemischt, die Frauennamen sind unbekannt – und umgekehrt.
  • AV: Einschätzen, ob die Liste mehr Männer- oder mehr Frauennamen enthält.
  • Ergebnis: Vpn überschätzen (bis zu 80%) den Anteil der Gruppe, die mit prominenten Namen vermischt wurde.
  • Zudem ist auch die Leichtigkeit, mit der verfügbare Informationen abgerufen werden können ausschlaggebend für die Anwendung von Verfügbarkeitsheuristiken.

 

Gefühlsheuristik

Definition:
Urteile, die unter Zeitdruck oder starkem sozialen Einfluss gefällt werden müssen, werden häufig eher auf der Basis von Emotionen denn auf Basis rationeller Überlegungen getroffen.

Beispiel: Spotlight-Effekt (Gilovich et al. 2000):

  • Verlauf:
    Vpn sollten mit auffälligem T-Shirt (Portrait von Barry Manilow) in Seminarraum gehen. Zuvor Einschätzung, wie vielen Personen das T-Shirt auffallen würde.
  • Ergebnis:
    Anzahl weit überschätzt (Emotionen als Anker).

Weitere Einflüsse auf die Urteilsbildung:

  • Framing-Effekte:
    Das Antwortverhalten bei gezielte Fragestellung und das damit verbundene Urteil kann stärker von der Formulierung und der Einbettung in die Fragestellung abhängen, als von den konkreten Inhalten.
  • Logik der Konversation:
    Wenn Menschen Fragen beantworten und Urteile fällen sollen, dann gehen sie auch immer auf die vermutete Intention des Fragestellers ein. Diese Intention erschließen sie aus dem Kontext der Kommunikation.
  • Soziale Erwünschtheit:
    Auch in Urteilen streben Menschen danach, bestimmten Normen und Regeln gerecht zu werden. Daher werden auch Urteilsheuristiken von diesen Effekten beeinflusst.

    Sozialpsychologie: Soziale Kognition
Markiert in: