Sozialpsychologie: Soziale Kognition

5. Automatische Prozesse

Eigenschaften automatischer Prozesse (Bargh, 1994):

  • Bewusstheit:
    Wie explizit wird ein gegebener Reiz und/oder dessen Einfluss auf das eigene Denken, Fühlen und Verhalten wahrgenommen?
  • Intentionalität:
    Wird ein Verhalten gezielt ausgelöst oder läuft es ohne vorangegangene Absicht ab?
  • Effizienz:
    Konsumiert ein Prozess in starkem Maße kognitive Ressourcen, oder verläuft er mit wenigen kognitiven Kosten?
  • Kontrollierbarkeit:
    Wie stark ist der Verlauf eines Prozesses durch die Person selbst beherrschbar und lenkbar?

Nachweis automatischer Prozesse:

Der empirische Nachweis erfolgt meistens nach dem gleichen Schema:

      1. Aktivierung von kognitiven Konzepten (Priming) durch Verfassen von Essays, Betrachten komplexer Stimuli oder subliminaler Präsentationen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, z.B.:
        Fotos von Farbigen und Weißen zur Untersuchung ethnischer Stereotype.
      2. Anwendung der kognitiven Konzepte durch Präsentation eines weiteren Reizes, der bestimmten Kategorien zugeordnet werden muss, z.B.:
        Beschreibungen positiver und negativer Eigenschaften.
      3. Retrospektive Introspektion:
        Nach dem Experiment werden die Teilnehmer zu Wahrnehmung der Untersuchungssituation befragt.

→   Sind nachweisbare Zusammenhänge zwischen Aktivierung und Anwendung des Konzepts vorhanden, ohne dass die Vpn die Aktivierung bemerken, so wird auf einen automatischen Prozess geschlossen.

Exkurs: Priming

  • Unterschwellige Wahrnehmung:
    • Annahme:
      Reize, die nicht bewusst erkannt oder entdeckt werden können, haben trotzdem Einfluss auf das Erleben und Verhalten.
    • Bsp.-“Experiment“: Vicary-Studie:
      Unterschwellige Werbung zur Anregung von Cola- und Popcornkonsum?
    • Ergebnisse tatsächlich durchgeführter Studien:
      Langanhaltende konkrete Verhaltensänderungen konnten nicht nachgewiesen werden. Einfluss der unterschwelligen Beeinflussung wirkt äußerst kurzfristig und verblasst schnell (häufig innerhalb einer/weniger Sekunden).
      → Unterschwellige Werbung erzielt keine besseren Ergebnisse gegenüber überschwelliger Werbung.
  • Nachweis unterschwelliger Wahrnehmung:
    Versuch zum  affektiven Priming (Fazio et al. 1968):
    Versuchsablauf
    :
    Bearbeitung einer Reihe von Zielwörtern am Computerbildschirm. Jeweils Entscheidung, ob es sich um ein positiv oder negativ besetztes Wort handelt: Tastendruck so korrekt und schnell wie möglich.
    Vor den Zielwörtern werden für einige Millisekunden Primewörter eingeblendet, die nicht bewusst wahrgenommen werden können.

Struktur:
Dabei ergeben sich kompatible Wortpaare (z.B.: Primewort = freudig, Zielwort = friedlich, bzw. feige und fies) und inkompatible Wortpaare (z.B. freudig und feige oder fies und friedlich).
→ AV: Zeit und Passung/Fehleranzahl der Prime-Zielwort-Zuordnung.

Ergebnis:
Bei Durchgängen, in denen Prime- und Zielwort übereinstimmen kommt es zu signifikant weniger Fehlern als bei inkompatiblen Wortpaaren (Affektiver Priming-Effekt).
Experimentelle Kontrolle: Sollen die Primewörter klassifiziert werden, findet man eine Leistung, die einer zufälligen Ratewahrscheinlichkeit entspricht!

  • Priming im engeren Sinne:
    Kognitive Konzepte oder Verhaltenskonzepte werden voraktiviert und ihre Auftretenswahrscheinlichkeit dadurch größer, z.B.:
    Sie haben kürzlich einen Film über die Feuerwehrmänner von Ground Zero gesehen.
    → Zweideutiges Verhalten einer anderen Person werden Sie mit höherer Wahrscheinlichkeit als hilfsbereit interpretieren denn als aggressiv.

→ Insbesondere leicht zugängliches Vorwissen (auch im Sinne von Zielen, Erwartungen, Verhaltensweisen etc.) sowie kürzlich erlebte Inhalte beeinflussen die neue Informationsverarbeitung und somit aktuelle Verhaltensweisen (→ vgl.  VerfügbarkeitsheuristikKap. 8).

Automatisches Verhalten:

  • Häufig passen wir gezeigtes Verhalten an Geschehnisse in der Umgebung an.
    Bargh & Chartrand (1999) zeigten, dass Vpn dann häufiger an ihren Augen rieben oder mit den Füßen wippten, wenn ein Konfident dieses Verhalten zeigte. Bei einer Nachbefragung konnten sich die Vpn nicht an diese Nachahmung erinnern.
  • Experiment von Bargh et al. (1996) zur Konzeptaktivierung auf die Verhaltenssteuerung:
    Verlauf
    : Zunächst wurden durch Priming die Konzepte „höflich“ oder „rüde“ bzw. in einer KG kein Konzept aktiviert. Anschließend sollten die    Vpn den VL in einem Nebenraum aufsuchen, wo dieser gerade einem Konfidenten eine Aufgabe erklärte und die Vpn ignorierte.
    Ergebnis
    : 20% der „höflich“ geprimeten, 40% der neutralen und 60%  der „rüde“ geprimeten Vpn unterbrachen den VL.
  • Experiment von Aarts & Dijksterhuis (2003):
    Hypothese
    :
    Gesellschaftliche Normen beeinflussen bei Aktivierung als automatischer Prozess das Verhalten.
    Verlauf
    :
    Darbietung von Photos (darunter 4 edle Restaurants) mit jeweiliger Präsentation einer Verhaltensweise (z.B. sich-gut-benehmen).
    Anschließend Angabe, ob die Verhaltensweise der Norm der auf dem Foto gezeigten Situation angemessen ist. Messung der Reaktionszeiten zum Nachweis der Verinnerlichung der jeweiligen sozialen Norm.
    Einen Monat später weiterer Versuch mit den Vpn: Präsentation des Fotos eines edlen Restaurants oder eines Bahnsteigs. Anschließend sollten die Teilnehmer einen Keks essen, der dabei sehr bröselte.
    AV
    : Häufigkeit, mit der die Vpn die Krümel vom sauberen Tisch wischten.

Ergebnis:
Häufigkeit des Tisch-Reinigens korrelierte sowohl mit dem Prime (in 2. entweder Bahnhof oder Restaurant), als auch mit der Verinnerlichung der restaurant-spezifischen Normen (in 1.) und mit der Interaktion zwischen Priming und Normen.

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